The Square (Filmkritik)

2019 Parasite, 2018 Shoplifters, 2017 The Square – die Jurys der Internationalen Filmfestspiele von Cannes haben in den letzten Jahren ein gutes Gespür für hervorragende Filme gezeigt. Werden in den Gewinnerfilmen der letzten beiden Jahre soziale Fragen auf eher ungewöhnliche Weise behandelt, interessiert sich der Film The Squaredes schwedischen Autors Ruben Östlund vor allem für die moderne Kunstszene (auch wenn nebenher ebenfalls soziale Themen verhandelt werden).

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Film und bildende Kunst – beide pflegen ein enges Verhältnis. Lang ist die Reihe der Spielfilme und Dokumentationen über Künstler. Sie reicht von den vielen Filmen über van Gogh (zuletzt zum Beispiel das Biopic An der Schwelle zur Ewigkeit von Julian Schnabel), William Turner, Gauguin oder Klimt bis hin zu Florian Henkel von Donnersmarcks Werk ohne Autor, der sich an das Leben von Gerhard Richter anlehnt. Es gibt malende Regisseure (wie etwa David Lynch) und Maler, die Regie führen, Künstler, die einem Film durch ihre Entwürfe ein unverwechselbares Gepräge geben wie etwa HR Giger der Alien-Reihe. Und es gibt Regisseure, die sich von Motiven, der Lichtführung oder der Perspektive auf Kunstwerken für Einstellungen und Schnitte haben inspirieren lassen.

Das Problem des erfundenen Kunstwerks

Schließlich gibt es Filme, die sich mit Künstlern oder Kunst beschäftigen, Künstler und deren Kunst dabei aber frei erfinden. Die haben es besonders schwer, denn irgendwann kommt der Punkt, wo der Film Farbe bekennen und ein Kunstwerk zeigen muss – das dann oft enttäuscht. Ein Problem übrigens, mit dem nicht nur Filme, sondern auch Romane über Künstler zu kämpfen haben, wie etwa Michel Houellebecqs Karte und Gebiet zeigt. Hier ist die Hauptfigur der hochbezahlte und gehypte Künstler Jed, der seinen Durchbruch mit am Computer bearbeiteten Fotos von Michelin-Karten erzielt – wobei es der Autor nicht schafft, die angebliche Faszination dieser Werke für den Leser nachvollziehbar in Worte zu fassen.

Auch The Square hat mit diesem Problem zu kämpfen. Der Film spielt im Milieu von Liebhabern zeitgenössischer Kunst rund um ein Museum in Stockholm. Kurator des Museums für zeitgenössische Kunst ist Cristian, schick, leicht arrogant, smart, aber nicht unsympathisch. Er ist auch mutig, verteidigt eine von ihrem wütenden Freund verfolgte Frau in der Fußgängerzone oder wagt Performance-Experimente mit Mäzenen, auch wenn beide Aktionen anders ausgehen als erwartet. Er spricht frei, weiß sein Publikum durch – geprobte – Improvisationen zu umgarnen. Und er ist auch kein Kontrollfreak, sondern lässt seinen Mitarbeitern durchaus freie Hand – was sich allerdings auch nicht immer als gute Idee erweist. Wird der Museumsdirektor also durchaus sympathisch gezeichnet – ist das auch für die zeitgenössische Kunst im Film der Fall?

Zeitgenössische Kunst gilt ja vielen als schwierig, ohne Gebrauchsanweisung kaum zu verstehen, wird oft lächerlich gemacht, ist Kopfschüttel-Kunst. Auch in Filmen, wo sie auftaucht, ist das häufig der Fall. Man denke nur an die in The Big Lebowski gezeigte Vagina-Kunst der feministischen Künstlerin Maude Lebowski oder ihren durchgeknallten Künstlerfreund.

Kieskegel und Stühlestapel

In The Square taucht zeitgenössische Kunst an mehreren Stellen auf. Im Museum werden in einigen Szenen ausgestellte Kunstwerke gezeigt: symmetrisch angeordnete Kieskegel, die sich in einem großen Raum auftürmen, und die nach dem Motto „Ist das Kunst oder kann das weg?“ von einer Reinigungskraft verkleinert werden; während eines Gesprächs des Museumsdirektors mit einer Verehrerin ist im Hintergrund unscharf eine aus Stühlen aufgeschichtete Pyramide zu erkennen – frei nach Ai Wei Weis Stühlestapel auf der Kunstbiennale in Venedig 2013; außerdem ist die Kulisse sehr laut, das Gespräch wir gestört von an- und abschwellenden Geräuschen einer Kunstmaschine, die nicht im Bild zu sehen ist, aber die Tonspur dominiert. Zeitgenössische Kunst ist also laut und verwendet Alltagsgegenstände – scheint der Film zu sagen. Und bedient damit Klischees. Auch wenn an einer Stelle reflektiert wird, was Kunst möglicherweise zur Kunst macht – der Kontext. „Wenn ich ihre Handtasche nehme und hier in den Raum stelle“, so der Kurator zu einer Journalistin, die ihn in einer der ersten Szenen des Films im Museum interviewt, „würde das ihre Tasche zu einem Kunstobjekt machen.“

Dann ist da natürlich noch das namensgebende Kunstwerk The Square, ein am Boden vor dem Museum mit einer weißen, leuchtenden Linie markiertes Quadrat von einer Größe von 4 mal 4 Metern. Auch hier die erste Assoziation: lächerlich. Typisch zeitgenössische Kunst. Was soll der Unsinn? Auch die dazu gelieferte Gebrauchsanweisung in Form einer Messingtafel macht es nicht unbedingt besser, stehen darauf doch nur die Worte: „The Square ist ein Zufluchtsort, an dem Vertrauen und Fürsorge herrschen. Hier haben alle die gleichen Rechte und Pflichten“. Erst eine Werbeagentur sorgt dafür, dass aus diesem Kunstwerk Sprengstoff wird. Und als man am Ende des Films erfährt, dass das weiße Quadrat Teil eines größeren Ausstellungskonzepts ist, das sich im Inneren des Museums fortsetzt, versöhnt man sich etwas mit dem Kunstwerk.*

Aus Kunstspaß wird blutiger Ernst

Aber das bei weitem beeindruckendste Kunstwerk im Film ist eine Videoinstallation, die sich über eine Museumswand zieht und auf der in Endlosschleife das Gesicht eines grobschlächtigen Mannes mit schlechten Zähnen zu sehen ist, der den Betrachter anknurrt und die schlechten Zähne fletscht. Ein animalisches Muskelpaket, das seine Urinstinkte offenbar nur mühsam unter Kontrolle halten kann. Später taucht dieser Künstler während einer Performance für Mäzene und Freunde des Museums, die als Beiprogramm zu einem eleganten Dinner in einem Saal des Stockholmer Schlosses stattfindet, wieder auf. Mit nacktem Oberkörper und Affengekreische springt er durch den Raum, wie ein Gorilla auf allen vieren, klopft sich wie King Kong auf die Brust, steigert sich immer mehr in seine Rolle hinein – und bald werden die leicht pikierten bis belustigten Gesichter von Sorgen- und schließlich Angstfalten gezeichnet. An diesem Affen ist wirklich nichts lustig, er meint es ernst, er setzt den Gästen Servietten als Hüte auf den Kopf, nimmt ihnen das Besteck weg, duldet keinen Widerspruch, springt auf den Tisch, zerrt Frauen an den Haaren herum und zwingt ihren Kopf in seinen Schoß. Kunst als schöner Zeitvertreib kippt hier um in bitterbösen Angriff – hier, wo aus nettem Kunstbeiwerk Ernst wird, wo aus dem schönen Schein ein Angriff auf die Gesellschaft und ihre Masken wird, ist auch der Film auf seinem Höhepunkt, wird die Satire zum fast unerträglichen Statement, vereinen sich Schauspielkunst und Kunst.

*Kein Wunder übrigens, denn The Square ist ein Kunstgriff des Regisseurs: Das Quadrat ist als  permanente Kunstinstallation in der schwedischen Kleinstadt Värnamo zu sehen. Es wurde von Regisseur Östlund und dem künstlerischen Direktor Kalle Boman bereits vor dem Film für eine Ausstellung entwickelt.