Was ist Art-Horror?

Sind Sie schon einmal über den Begriff „elevated horror“ gestolpert oder haben Sie in den letzten Jahren öfter mal von „smarten“ Horrorfilmen gehört? Dann ist das kein Zufall, denn seit Anfang der 2010er-Jahre erlebt ein Subgenre des Horrorfilms ein Momentum, das schwierig zu fassen ist. Mein Anliegen: Vergessen Sie die vagen Begriffe wie „elevated“ oder „smart“ und prägen Sie sich lieber die Bezeichnung „Art-Horror“ ein. Ein Plädoyer.

Goyas Hexensabbat (1797/98) diente Eggers als Inspiration für dessen Film The Witch (2016)
Goyas Hexensabbat (1797/98) diente Eggers als Inspiration für dessen Film The Witch (2015)

Art-Horror: eine neue Welle an Horrorfilmen

Seit gut zehn Jahren erlebt das Horrorgenre im Film so etwas wie eine Renaissance. Den Anfang machten dabei vor allem It Follows (2014) von Robert David Mitchell und The Babadook (2014) von Jennifer Kent. Der Horror ist in beiden Filmen nur eine stilistische Entscheidung, um die Geschichte dem Zuschauer nachdrucksvoller und emotionaler zu vermitteln. Es folgten weitere Filme, die sich an diesem Konzept orientierten: The Invitation (2015) von Karyn Kusama, The Blackcoat’s Daughter (2015) von Osgood Perkins oder It Comes at Night (2017) von Trey Edward Shults.

In dieser modernen Bewegung des Horrorgenres ragen aber vor allem zwei Filmemacher heraus: Robert Eggers schockte das Publikum mit seinem Hexen-Horrorfilm The Witch (2015), der vier Jahre später erschienene The Lighthouse (2019) konnte die Erwartungen an den Regisseur noch einmal steigern. Währenddessen hatte Ari Aster mit dem innovativen Horrordrama Hereditary (2018) Kinogängern das Blut in den Adern gefrieren lassen. Gerade einmal ein Jahr später brachte er Midsommar (2019) in die Kinos und entführte die Zuschauer diesmal in einen lichtdurchfluteten Sommer des Grauens.

Die Kritik zeigte sich begeistert und auch finanziell konnten die Filme zumindest Teilerfolge feiern. Das Mainstream-Publikum konnte mit den Filmen hingegen nicht viel anfangen, wie jeweils der CinemaScore [auf einer Skala von A+ (gut) bis F (schlecht)] der Filme in den USA offenbart. Hereditary bekam ein D+, Midsommar ein C+, The Witch ein C-. Den anderen Horrorfilmen wie It Comes at Night (D) erging es nicht anders. Für Filmliebhaber und progressiven Fans des Horrorgenres waren diese Independent-Regisseure, die dem Mainstream-Kino den Mittelfinger zeigten und auf originelles Kino setzten, jedoch ein Glücksfall. Ich behaupte und belege das in meinem Buch Art-Horror (2022): Nie war Horror so originell und attraktiv.

Horror als Mittel zum Zweck

Eine weitere Gemeinsamkeit all dieser Filme: Regisseur und Drehbuchautor sind ein und dieselbe Person. Diese (jungen) Filmemacher wollen über die Geschichte von Anfang bis Ende bestimmen. Alle haben sie das Drehbuch alleine bzw. zusammen mit einem Co-Autor geschrieben. Dies zeigt, dass sie ganz persönliche Geschichten zu erzählen haben, was sich beim Ansehen ihrer Werke auch bemerkbar macht. Die Filme scheinen so, als ob sie den Regisseuren besonders am Herzen liegen, als ob sie die Geschichte darin selbst erlebt hätten und sie nun einem (noch) abstrakten Publikum erzählen möchten. Mit oftmals erschreckendem und faszinierendem Hang zum Detail.

Stichwort Detail – hier ist ein Element ausschlaggebend, welches ich bereits erwähnt habe: Das Erzählte, die Geschichte und die Themen, die damit einhergehen, sind wichtiger als das Genregerüst, in dem sie verortet werden, dem Horrorfilm. Die Filmemacher verwenden das Genre zu ihren Zwecken, passen es an, deuten es neu. Egoistisch und kreativ wie sie sind, ziehen sie ihr ganz eigenes Ding durch, der Horror ist „nur noch“ Mittel zum Zweck, ein bloßer stilistischer Rahmen, der der persönlichen Geschichte des Filmemachers, die ihm das wichtigste Gut ist, dient.

„Elevated horror“ ist falsch

Anfang der 2010er-Jahre taucht erstmals der Begriff „elevated horror“ auf. Es ist Simon Oakes, der CEO der 2006 wiederbelebten Hammer Films, der diese Worte als einer der ersten in den Mund nimmt. Der Begriff soll diese neue Art von Horrorfilm umfassen, doch schnell gerät er in die Kritik. Horrorfans erzürnen sich, da sie diese Bezeichnung als Bestätigung dafür sehen, dass das Genre als solches als minderwertig und anspruchslos wahrgenommen werde: Kritiker hassten das Genre so sehr, dass, wenn sie ganz überraschend einen guten Horrorfilm sahen, diesen sofort als anders kategorisieren mussten. Da kamen Begriffe wie „elevated“ gerade richtig. So gesehen sei dieser Trend nichts weiter als eine erneute herablassende Beleidigung des Genres (das schon so viel über sich ergehen lassen musste). In der Tat impliziert das Adjektiv „elevated“, dass andere Horrorfilme eben minderwertig seien. Auch Kritiker sahen das nach und nach ein.

Art-Horror – eine Definition

Es gibt zwei Kategorien von Horrorfilmen: die wilden Achterbahnfahrten [von Halloween (1978) bis hin zu Final Destination (2000)] und die subtileren Arthouse-Erlebnisse (wie die eingangs erwähnten Filme der 2010er). Die Betonung liegt hier auf Arthouse, denn dieser Begriff ist zutreffender als „elevated horror“. Das bedeutet keineswegs, dass andere, klassische Filme des Horrorgenres minderwertig sind. Die Absicht hinter den Filmen ist einfach eine andere – und das sollte von Fans und Kritik auch so erkannt werden. Deshalb ist der gängige Begriff „elevated horror“ falsch und sollte durch die Bezeichnung „Art-Horror“ ersetzt werden. Es handelt sich in der Tat um Arthouse-Horrorfilme, die Jump Scares durch eher existenzielle Ängste ersetzen, und über die sofortige Befriedigung der Angstlust hinausgehen. Es geht nicht mehr nur darum, sich vor gruseligen Gestalten, Monstern oder Dämonen zu erschrecken, sondern um die Schaffung einer beklemmenden Atmosphäre, die auch noch lange nach dem Abspann anhält.

Meine Definition: Art-Horror verbindet intellektuelle Konzepte, psychologische Narrative und stilprägende Bilder mit unkonventionellen Erzählmethoden, Schauspielstilen und Kameratechniken – dies alles im Gewand eines Horror-Szenarios, welches klassisch auf Angst und Schrecken abzielt oder aber mit schockierender Gewalt, welche mit surrealen oder gar absurd-komödiantischen Effekten auflauert, daherkommt. Der Ausgangpunkt ist per se nicht unbedingt der Horror, sondern ein anderes Thema. Wer tiefer in die Materie einsteigen möchte, kann das in meinem Buch Art-Horror. Die Filme von Ari Aster und Robert Eggers (2022) – denn Eggers und Aster sind die exemplarischen Vertreter dieses noch jungen Genres.

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